Der Waldrapp ist ein Zugvogel, der bis ins 17. Jahrhundert auch in Mitteleuropa heimisch war bevor er dort in Folge exzessiver Bejagung verschwand. Im Rahmen eines ersten LIFE Projektes von 2014 bis 2019 (LIFE+12 – BIO_AT_000143) wurde in den Alpen eine migrierende Population von Waldrappen wiederangesiedelt. 2019 lebten 142 Tiere in drei Brutkolonien nördlich der Alpen mit einem gemeinsamen Überwinterungsgebiet in der Toskana. Im Zuge der Schutzbemühungen, konnten mittels einer umfangreichen Kampagne die Verluste durch illegale Vogeljagd in Italien fast halbiert werden. Die Projektziele wurden zwar erreicht, doch Modellierungen zeigten, dass eine Population dieser Größe noch nicht selbständig überlebensfähig ist.
Aus diesem Grund wurde ein weiterer Förderantrag gestellt und ein zweites LIFE Projekt genehmigt: LIFE20 Northern Bald Ibis (LIFE20 NAT/AT/000049). Für den Förderzeitraum von 2022 bis 2028 kommen 60 Prozent des Budgets aus dem EU-Haushalt, die restlichen 40 Prozent werden durch Partner und Kofinanzierer aufgebracht. Zielsetzung ist der weitere Aufbau der Population, bis sie entsprechend den Modellierungen selbständig überlebensfähig ist.
Das Projekt wird von zehn Partnern aus vier Ländern umgesetzt, unter Leitung des Tiergarten Schönbrunn in Wien und mit Beteiligung des Förderverein Waldrappteam, der im vergangenen Turnus als Projektträger operierte. Maßnahmen sind in Österreich, Deutschland, Italien und der Schweiz geplant.
Etablierung einer selbsterhaltenden Population
Bis zum Projektende 2028 sollen wieder mehr als 360 Waldrappe zwischen dem nördlichen Alpenvorland und der Toskana migrieren. Dies entspricht der errechneten Mindestanzahl an Individuen, die für das fortwährende Bestehen der Auswilderungspopulation nötig ist. Zum Ende des ersten LIFE Projektes 2019 umfasste die Population 142 Tiere.
Zusätzlich zu den bestehenden Kolonien in Süddeutschland und im Salzburger Land, sollen drei weitere migrierende Kolonien in der Schweiz, Kärnten und Norditalien gegründet werden. Zudem soll eine sogenannte Satellitenkolonie im näheren Umfeld und mit Vögeln der Brutstandorte Kuchl und Burghausen aufgebaut werden. Als gemeinsames Überwinterungsgebiet aller bestehenden und geplanten Kolonien soll weiterhin die WWF Oasi Laguna di Orbetello in der Toskana dienen, um weiter einen genetischen Austausch in der Gesamtpopulation zu gewährleisten.
Die genauen Maßnahmen, die für die einzelnen Kolonien geplant sind, werden bei den jeweiligen Projektstandorten erläutert. Die primäre Methode zur Gründung neuer Brutkolonien bleibt die menschengeführte Migration (HLM= human-led migration). Nähere Information zu diesem Vorgehen finden sich unter dem Menüpunkt Auswilderung. Neben der HLM sollen auch weitere Methoden zum Kolonieaufbau entwickelt und umgesetzt werden.
Vorgehen gegen illegale Abschüsse
Ein Großteil der Waldrappe in der europäischen Auswilderungspopulation ist mit GPS-Sendern ausgestattet. Dieses intensive Monitoring hat bereits im ersten LIFE Projekt effiziente Maßnahmen gegen illegale Abschüsse in Italien ermöglicht und soll daher auch im laufenden Projekt fortgeführt werden. Ziel ist es, den Anteil an Verlusten in Italien, die auf illegale Jagdaktivitäten zurückzuführen sind, bis 2028 von derzeit 31% auf unter 25% zu reduzieren.
In diesem Zuge sind umfangreiche Maßnahmen in Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen, politischen Entscheidungsträgern und Jagdverbänden auf nationaler und europäischer Ebene vorgesehen. Auch die Sensibilisierung der Bevölkerung durch Öffentlichkeits- und Medienarbeit bleibt ein wichtiger Teil der Kampagne.
Es ist davon auszugehen, dass auch andere geschützten Zugvogelarten in ähnlichem Ausmaß durch die illegale Jagd in Italien betroffen sind. Die Kampagne ist somit von hoher Bedeutung für den europäischen Artenschutz.
Vorgehen gegen Stromschlag
In den österreichischen Brutgebieten sind Stromschläge durch ungesicherte Mittelstrommasten die häufigste Todesursache für Waldrappe. Wie auch viele andere Vögel, nutzen sie die exponiert stehenden Masten bevorzugt als Rast- und Schlafplatz. Auf Masten ohne entsprechende präventive Vorkehrungen, können Vögel einen Kurzschluss oder eine Erdung verursachen. Dabei kamen in der Vergangenheit bis zu fünf Waldrappe gleichzeitig ums Leben! Die Verluste durch Stromschlag in Österreich sollen bis Projektende 2028 von aktuell 45% auf unter 38% reduziert werden. Gemeinsam mit den Stromnetzbetreibern aus Oberösterreich (NetzOÖ), Salzburg (LSB) und Kärnten (KNG) sollen über 160 Risikomasten im Umfeld der Brutgebiete gesichert werden.
Da auch Greif-, Eulen- und Storchenvögel die Masten nutzen, haben die Nachrüstungen allgemein eine große Bedeutung für den Artenschutz vor Ort. Die geplanten Sicherungen erzielen in erster Linie lokale Wirkung und der Waldrapp steht im Fokus dieser Maßnahmen. Darüber hinaus soll jedoch auch der Anstoß für eine landesweite, gesetzliche Regelung zur Nachsicherung von Mittelspannungsmasten gegeben werden. In Ländern wie Deutschland ist diese Maßnahme bereits im Bundesnaturschutzgesetz verankert. Die flächendeckende Umsetzung hat zur Folge, dass in Deutschland seit Jahren keine Waldrappe durch Stromschlag mehr getötet worden sind, während es in Österreich heute die häufigste Todesursache ist. Zum Zweck der langfristigen, gesetzlichen Implementierung in Österreich erhält das Projektteam Unterstützung durch einen Rechts- und Politikexperten des WWF Deutschland.
Öffentlichkeitsarbeit
Die meisten Waldrappe der Auswilderungspopulation tragen solarbetriebene GPS-Sender, über die regelmäßig ihre Standorte abgerufen werden. Diese Informationen dienen in erster Linie dem Monitoring, werden jedoch auch genutzt, um gezielt Managementmaßnahmen bei Verletzungen oder besonderer Gefährdung durchführen zu können. Die gesammelten Daten werden zudem auf die Online-Datenbank Movebank des Marx-Planck-Instituts in Radolfzell übertragen, wo sie für Forschungszwecke zur Verfügung stehen. Von der Movebank werden die Daten auf die kostenlose App Animal Tracker übermittelt, wo sie der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden. Die App visualisiert die Positionsdaten der Vögel in anschaulicher und verständlicher Form, wodurch jeder Interessierte die Bewegung einzelner Tiere quasi in Echtzeit mitverfolgen kann. Die Veröffentlichung der App durch das Institut wurde im Zuge des ersten LIFE Projektes gefördert.
Auch im zweiten LIFE Projekt soll ein Teil der Jungvögel mit Sendern ausgestattet werden. So stehen dem Projektteam weiterhin wichtige Daten zu den Raum-Zeitmustern der Vögel zur Verfügung, die ein effizientes Management und gezielte Maßnahmen gegen illegale Vogeljagd ermöglichen.