Goja: Ein Waldrapp schreibt Geschichte

Nach 20 Jahren Projektarbeit mit den Waldrappen gibt es so einiges zu berichten. Doch die Geschichte eines Vogels scheint besonders bemerkenswert: Wohl kaum ein Schicksal war so repräsentativ für die Erfolge und die Rückschläge im Projekt wie das der Walrappdame GoJa.

GoJa wurde 2009 als letztes Küken im Cumberland Wildpark/KLF in Grünau für die Handaufzucht aus dem Nest genommen. Als jüngster Zögling war sie anfangs noch sehr klein und schwach, wuchs aber zu einem aktiven und neugierigen Jungvogel heran. Während der menschengeführten Migration tat sie sich später sogar als sehr zuverlässige und ausdauernde Fliegerin hervor. Auch im Wintergebiet in der Toskana kam sie gut zurecht, bis sie im Mai 2011 plötzlich spurlos verschwand. Die Sorge wuchs heran, dass sie nicht mehr am Leben sein könnte.

Lange Zeit war die Enttäuschung im Projekt groß, da keines der ausgewilderten Tiere Anstalten machte, im Frühjahr zurück ins Brutgebiet zu kehren. Doch am 28. Juli 2011 traf ganz unverhofft und weit nach Beginn der Brutsaison plötzlich die verschollen geglaubte GoJa in Burghausen ein – nach 400 Jahren war sie der erste Waldrapp, der selbständig die Alpen überquerte. Ein Meilenstein bei dem Versuch, die Art als Zugvogel wiederanzusiedeln!

GoJa war mit etwas über zwei Jahren noch nicht geschlechtsreif. Man hatte bis dato angenommen, dass Waldrappe bis zur Geschlechtsreife im warmen Süden bleiben und erst ihr Fortpflanzungstrieb sie zurück in die Brutgebiete führt. Warum hatte GoJa nicht bis zum nächsten Frühjahr gewartet? Die Antwort darauf gab sie  eine Woche nach ihrer Ankunft selbst. Mit drei in Burghausen geschlüpften Jungvögeln machte sie sich bereits wieder auf den Weg nach Süden. Die Jungvögel stammten von einem nicht migrierenden Paar, das zurückkehrende Waldrappe zur Brut animieren sollte, da Waldrappe Koloniebrüter sind. Junge Waldrappe besitzen zwar einen genetisch fixierten Zuginstinkt, lernen die Lage des Wintergebietes aber von erfahrenen Artgenossen, weshalb sie sich GoJa anschlossen. Leider verunglückten zwei während der Migration, Jazu erreichte aber mit GoJa die Toskana. Damit war der erste wilde Jungvogel ohne menschliche Hilfe über die Alpen migriert und ein weiterer großer Schritt zur Wiederansiedlung war geschafft. Die Auswertung der Senderdaten von GoJa zeigte, dass sie nicht die Zugroute östlich um die Alpen herum  gewählt hatte, auf der sie zwei Jahre zuvor geführt wurde: Vielmehr flog sie direkt über die Alpen in die Toskana und bewies, dass Waldrappe in der Lage sind, über neue und wohl energieeffizientere Flugrouten zu navigieren, wenn sie einmal vom Brut- ins Wintergebiet geflogen sind.

Und auf GoJa war Verlass. Im nächsten Frühjahr erschien sie rechtzeitig zur Brutzeit in Burghausen und zog als erster ausgewilderter Zugvogel drei eigene Küken auf. Unter den anderen Rückkehrern dieses Jahres war auch ein Überraschungsgast: Der jetzt subadulte Jazu, der GoJa im Jahr zuvor über die Alpen gefolgt war, tauchte im Spätsommer ebenfalls in Burghausen auf. Zwar war er noch viel zu jung um zu brüten, doch war er der erste wild aufgewachsene Vogel, der auf völlig natürliche Weise erfolgreich das Zugverhalten durch eine Artgenossin erlernt hatte und dies zudem seinerseits an einen diesjährigen Jungvogel weitergab.

Im Herbst desselben Jahres traf GoJa ein trauriges Schicksal, das auch heute noch viele ihrer Artgenossen ereilt: Während der Herbstmigration ins Überwinterungsgebiet wurden sie und der Jungvogel Jedi, der sie begleitete, kurz vor ihrem Ziel in der Toskana abgeschossen. Die zuständige Birdmanagerin traf dank GoJas GPS Sender nur Minuten später am Abschussort ein. Auch wenn sie die Vögel nicht retten konnte, so ließ sich nicht zuletzt dank ihrer Hilfe der Täter eindeutig identifizieren. Und so schrieb GoJa auch nach ihrem Tod Geschichte: Zum ersten Mal gelang es dem Waldrappteam, einen illegalen Jäger strafrechtlich zu belangen und ein Urteil zu bewirken. Und nicht nur das: Acht Jahre später führte ein anschließender Zivilprozess zu einer weiteren empfindlichen Strafe für den Täter.

 

Der Name GoJa wurde inspiriert durch Jane Goodall, die das Projekt 2008 zum ersten Mal besuchte und seither Ehrenmitglied im Förderverein Waldrappteam ist. Die renommierte Verhaltensforscherin wurde später zur Patin von GoJa.